Unsere frühe Quartiersuche hat einen besonderen Grund: Wir wollen eine Fahrt mit dem Petit Train Jaune machen. Der kleine gelbe Zug ist die Attraktion der Region. In teilweise offenen Waggons kämpft sich der Zug durch die abenteuerliche Bergwelt der Region, vorbei an Schluchten und Wasserfällen, über Brücken und durch finstere Tunnel. Die Gesamtstrecke von Villefrance nach Enveigt nimmt über zwei Stunden für eine Richtung in Anspruch. Wir begnügen uns mit der Hin- und Rückfahrt hinunter nach Villefrance de Conflent. So hält sich auch der Fahrpreis mit 45 Franc für eine Person in Grenzen. Der Reiseführer hat nicht zuviel versprochen. Trotz des noch ungemütlichen Wetters nehmen wir natürlich einen offenen Wagen für die Fahrt ins Tal. In Villefrance haben wir gut zwei Stunden Zeit bis zur Rückfahrt und lassen uns von dem kleinen Städtchen (260 Einwohner) verzaubern. Die dicken Mauern, die auch diesen Ort umgeben, haben ihn seit dem 17. Jahrhundert nahezu unverändert gelassen. Handwerkskunst und Kulinarisches aus der Region werden in den engen Gassen geboten.
Auch wenn wir es heute noch nicht so recht glauben wollen, in der Cerdagne sind jährlich 3000 Stunden Sonnenschein zu verzeichnen, womit diese Region Spitzenreiter in Frankreich ist. Deshalb steht auch in Odeillo der größte Parabolspiegel der Welt. Der Sonnenofen von Odeillo wird für wissenschaftliche Versuche mit Solarenergie genutzt und ist auch für Besucher zugänglich. Der wolkenverhangene Himmel dämpfte leider die Faszination dieser Anlage.
Am nächsten Morgen wird die Cerdagne ihrem Ruf dann doch gerecht. Die Sonnenstrahlen kitzeln uns wach und treiben uns auf die Motorräder. Kurz hinter Font Romeu machen wir noch einmal halt an der Centrale Thérmis. Auch hier werden wissenschaftliche Versuche unternommen. Mit dem Chaos von Targassonne (einer Ansammlung von Granitblöcken aus der Eiszeit) im Hintergrund fühlen wir uns in eine Science-Fiction Landschaft versetzt.
Zwar lockt unser Tagesziel Andorra mit billigem Sprit, doch unsere Boxer können nicht mehr so lange warten. Ein kurzer Abstecher in das spanische Llivia und wir haben wieder preiswert die Tanks gefüllt. Die N 20 führt uns dann durch das Tal des Carol hinauf auf den ersten Pass, den Col de Puymorens in 1918 Meter Höhe. Bis die N 20 in die N22 mündet haben wir die Kehren und Kurven noch weitgehend für uns und können die Motorräder endlich einmal laufen lassen. Auf dem Weg zum Port d´Envalira, dem mit 2408 Metern höchstem Pass der Pyrenäen wird der Verkehr langsam dichter. So mäßigen wir unser Tempo und nehmen uns mehr Zeit für die wunderschöne Berglandschaft um uns herum. Auf der Passhöhe hat sich der Winter noch nicht verabschiedet und zeigt uns, dass auch im Juni noch mit Schnee zu rechnen ist. Die Regenfälle der letzten Tage haben sich hier als Schnee niedergelassen, so dass die Landschaft strahlt als wäre sie mit einem bekannten deutschen Vollwaschmittel gewaschen.
An der Grenzstation Pas de la Casa erwarten uns dann bereits die ersten Tankstellen und Supermärkte. Durch den weitgehenden Verzicht auf Zölle hat sich Andorra zum Einkaufsparadies entwickelt, das Jahr für Jahr rund 10 Millionen Besucher in den Zwergstaat lockt.